Wie ein müder Bär tapst er ins Musikstudio in Los Angeles herein, ein Bär in einem Hawaiihemd für Übergrößen, ein trauriges Lächeln im Gesicht. Vorsichtig, leicht schwankend geht Brian Wilson zwischen seinen jungen Begleitmusikern hindurch, zum Klavier herüber, lässt sich auf den Hocker sacken, als trage er die Last seiner wechselhaften Pop-Karriere auf Schritt und Tritt mit sich herum.
Dann setzt die Band ein, ein glockenklarer Kalifornien-Sound erfüllt den kleinen Raum, und Wilson singt mit seiner berühmten Falsettstimme: "Forever she'll be my surfer girl" - er trifft jede Note auf den Punkt. Und der Bär lächelt.
Eine solche Leistung hätte nicht jeder erwartet von einem in die Jahre gekommenen Beach Boy, der einst auf einen Rutsch Marihuana für tausend Dollar besorgen ließ, "um sich bei Gott einzuklinken", und dann in eine Abwärtsspirale aus Depressionen und Drogenkonsum geriet. Doch mit 66 Jahren, das ist die Botschaft seiner neuen Aufnahmen, singt der Kalifornier heute so gut wie seit 40 Jahren nicht mehr.
Dass Wilson überhaupt neue Lieder schreibt und veröffentlicht - unter dem Albumtitel "That Lucky Old Sun" - , grenzt für Fans wie Fachleute an ein Wunder. Wie mühsam das für ihn gewesen sein muss, nach Jahrzehnten des Kampfes gegen diverse Süchte und nach einigen fehlgeschlagenen Therapieversuchen - das lässt die Körpersprache des wankenden Beach Boys erahnen. Seine Stimme, seine Lieder erzählen dagegen immer noch vom sonnigen Strandvergnügen der frühen 60er. Als wäre nichts gewesen.
Sein Bruder Dennis hatte Brian, dem Stubenhocker, von der neuen Mode vorgeschwärmt. Jeder an der Highschool würde sich mit einem Surfbrett aufs Wasser schmeißen, Strandparties inklusive. Warum schreibst du nicht mal was übers Surfen?, fragte er. Das tat Brian. 20 Minuten brauchte er, so die Legende. Dann war "Surfin'" geboren, und der damit der erste Hit der Gebrüder Wilson im Großraum in Los Angeles. Mehr noch: Kalifornien hatte seine musikalische Identität gefunden.
"Ohne die Wilson-Brüder wäre Kalifornien eine musikalische Wüste geblieben", erzählt ein Weggefährte im Interview auf der DVD, die das jüngste Album begleitet. Ein anderer sagt: "In die Macho-Welt der Surfer brachte Brian diese romantische, himmlische, feminine Note hinein."
Wilson ließ des Strand zu sich kommen
Ein Sound, der bis heute das Kalifornien-Klischee prägt. Was ein weiteres Wunder ist. Denn mit der sonnigen Welt der Surfer hatte Brian Wilson, der musikalische Eigenbrötler, s
chon damals nichts am Hut. Auf dem Surfbrett und auf den Partys sah man in den 60ern eher seine Brüder. Der Meister selbst ließ den Strand lieber zu sich kommen, damals, auf dem Gipfel des Erfolgs und am Beginn der Exzesse.
Tonnen von Sand, so geht die Legende, ließ er in sein Haus kippen, sein Piano mittendrin. Die Füße im Kunststrand, den Kopf ganz weit weg - so arbeitete er sich an seinem eigenen Erfolg ab, ein Getriebener, der zuletzt sogar die Größten übertrumpfen wollte. "Ausgeflippt" sei er, als er das Beatles-Album "Rubber Soul" zum ersten Mal hörte, sagt er heute. Diese Art von Konzept-Pop wollte er auch machen. Nur mit schöneren, luxuriösen Gesangsharmonien. Doch dann kamen die Psychosen, und die Beach Boys fielen auseinander. Nur ganz wenige Freunde ließ er noch an sich heran. Ans Komponieren war nicht mehr zu denken.
Alte Weggefährten waren es, die Wilson Mitte der 90er langsam wieder zurück ins Showgeschäft holten. Van Dyke Parks, das Enfant Terrible unter den Westcoast-Komponisten, lud ihn ein, ein paar Zeilen Background-Vocals für sein Album "Orange Crate Art" einzusingen, ein nostalgisches Vergnügen, das die kalifornische Gründerzeit in all ihrer sonnigen Plantagen-Herrlichkeit wieder aufscheinen ließ. Wilson sagte zu, stellte sich nach Jahrzehnten wieder an ein Mikrofon und sang mit zittrigem Falsett Zeilen wie "Wenn ich jemanden brauche, hinterlass' ich meine Fußspuren im Sand und hoffe, dass du wieder zu mir kommst." Schön klang das nicht, eher verzweifelt. Aber es war ein Anfang.
Der Brian Wilson des Jahres 2009 hingegen hat wieder Halt gefunden. Täglich arbeitet er eine, anderthalb Stunden am Klavier, trifft sich mit Freunden, geht zum Essen aus, absolviert regelmäßig seine Walking-Runde - nur nicht am Strand. Das Meer meidet der Beach Boy. Die unbeschwerte Surferwelt gibt es nur noch in seinem Kopf und in seinen Liedern, die so frohgemut klingen wie anno dazumal - wäre da nicht dieser permanent traurige Blick. Und wer mit Brian Wilson spricht, hört eine Stimme, veträumt und verloren in Gedanken an eine andere Zeit.
"Die Depression kommt und geht"
Mr Wilson, Sie leben heute in Los Angeles und erzählen auf der neuen Platte über das Treiben am Venice Beach - sind Sie dort oft unterwegs?
Nein, das nicht.
Aber Ihre neuen Songs über das Strandleben
...Ich bin früher am Strand unterwegs gewesen, heute nicht mehr.
Warum nicht?
Keine Ahnung. Ich kann's wirklich nicht sagen.
Haben Sie mal was von den Red Hot Chili Peppers gehört?
Nein, habe ich nicht.
Das ist eine von den jungen kalifornischen Bands, die die heutige Surferkultur besingen.
Ich höre eher Radio, am liebsten einen Sender aus L.A., der Oldies but Goodies bringt.
Welche Oldies mögen Sie?
Ich mag sie alle. Oldies sind großartig.
Musik ist die wichtigste Heilquelle in meinem Leben, haben Sie während der neuen Aufnahmen erzählt - wirkt die Musik auch als Gegengift gegen die Ängste und Depressionen?
Nun, die Depression kommt und geht.
Quelle: Frankfurter Rundschau